Die Sonne die ich in dir sah

 


                                                       Die Sonne die ich in dir sah

Ich liebe Sonnenuntergänge.

Hier eine Liste mit Gründen:

1.      Sie sehen schön aus

2.      Sie sagen dir ungefähr wie spät es

3.      Sie sehen super in Bildern aus

4.      Meine Oma ist dort

5.      Mein Opa auch

6.      Mein Hund ist dort

7.      Ja mein anderer auch

8.      Bevor die Liste zu lang wird, viele sind dort.

Vielleicht so auch deine Großeltern, deine Eltern, Geschwister oder jemand anderes der dir sehr nahe stand.

Mir wurde immer gesagt, Sonnenuntergänge sind die Werke der Toten als Erinnerungen, dass der Abgang, wenn ich es mal so nennen darf, schön ist.

Denn erst nach dem Abschied leitet diese Schönheit zu der wahren, atemberaubenden Schönheit weiter.

So folgt nach dem Sonnenuntergang der unendliche Sternhimmel.

So vermag auch, was immer nach dem Tod auch passiert, noch schöner sein als der Tod selbst.

Ich möchte euch jetzt nicht die schöne Vorstellung kaputt machen, aber hier kommt die Wahrheit.

Das schöne orange, was wir bei Sonnenuntergängen wahrnehmen, kommt durch die vielen Abgase die rötlicheres Licht erzeugen in der Atmosphäre. Und die Sterne im Sternhimmel sind tatsächlich häufig auch nur tot. Sie funkeln nur schön.

Also warum Hoffnung machen wo es keine gibt?

Man kommt in dieser Welt schreiend und von lachenden Leuten umgeben an.

Man verlässt sie manchmal auch schreiend, umgeben von weinenden Leuten.

Und manchmal stirbst du gar nicht, aber möchtest trotzdem um die schreien, die dich verlassen haben. Du versuchst eine Erklärung zu finden, möglicherweise sogar Hoffnung. Doch da ist nichts. Keine Stimme die zu dir spricht und dir sagt, dass er oder sie okay ist, kein Brief der vom Himmel fällt und dich beruhigt.

Die 5 Phasen der Trauer.

Leugnung.

Nein, Sonnenuntergänge sind definitiv nicht wissenschaftlich erklärbar, auch wenn die Erde sich bestätigt innerhalb von 24 Stunden einmal um sich selbst dreht.

Wut.

Die Lady hat mir in ihrem poetry slam gesagt, dass Sonnenuntergänge Abgase sind, und Sternenhimmel fake. Ich hasse sie dafür.

Verhandeln.

Hm, vielleicht ist all das logisch erklärbar, dennoch ist das Universum nicht ganz erforscht, also könnte da doch ein Planet mit all unseren toten Menschen sein.

Depression.

Ich werde nie wieder Sonnenuntergänge anschauen können, sie erinnern mich viel zu stark an sie oder ihn.

Akzeptanz.

Es ist so. Ich leb damit.

Lasst mich noch eine sechste Phase hinzufügen. Das Durchdrehen. Du denkst du hast die fünfte Phase abgeschlossen, kannst weitermachen mit deinem Leben. Und dann trifft es dich. Dasselbe Auto, die Ähnlichkeit mit einer Person. Und schlagartig wirst du zu dem Tag zurückkatapultiert, indem du deinen Körper nicht mehr kontrollieren kannst und den herzzerreißesten Schrei ausstößt, den du je von dir gegeben hast. In dem Bewusstsein, dass diese Person nie wieder bei dir sein wird.

Du kannst nicht mehr schlafen, du kannst nicht mehr essen. Deine Gedanken bringen dich nachts um, selbst die lauteste Musik lassen sie nicht verstummen. Dein Leben ergibt keinen Sinn mehr, ich meine nicht mal mehr Sonnenuntergänge machen mehr einen Sinn.

Und dann eines Tages, wenn dir sowieso alles egal ist, liegst du im Bett und das Unerwartetste überhaupt passiert. Du riechst etwas. Zunächst ist es dir nicht vertraut, es ist weder Feuer noch Rauch. Du fühlst dich sicher, jedoch nicht, weil du weißt, dass du gleich nicht bei lebendigem Leibe verbrennen wirst, sondern weil du den Geruch endlich einordnen kannst. Es ist die Person. Die Person von der du gedacht hast, sie sei fort, würde nie wieder kommen. Und ohne, dass du es kontrollieren kannst, laufen dir die Tränen die Wangen runter. Du stehst auf, öffnest dein Fenster und es verschlägt dir die Sprache. Es war noch vor ein paar Stunden extrem bewölkt und jetzt erblickst du den wohl klarsten Sternhimmel aller Zeiten. Selbst die Milchstraße ist ein bisschen sichtbar. Wohlmöglich ein besonderes astrologisches Ereignis, vielleicht aber doch nur Zufall. Und auch wenn plötzlich nicht wundersamerweise eine Sternschnuppe über den Himmel fliegt, weißt du plötzlich, dass alles okay sein wird. Die Person, du, und die Situation.

Lasst mich euch was fragen, macht der Fakt, dass Sonnenuntergänge quasi nur Abgase sind, sie denn weniger schön?

Strahlen die Sterne am Himmel denn weniger hell nur weil sie tot sind?

Wir ignorieren die Schönheit um uns rum, weil wir geblendet von dem sind, was uns umgibt. Wir sind geblendet von den Fakten, sodass wir uns gar nicht erst wieder die Mühe machen genauer hinzuschauen.

Denn wenn du genau hinschaust, genau hinhörst, merkst du, dass diese Person nie weg war. Physisch mag sie es sein, doch niemals mental. Sie hat nie wirklich deine Seite verlassen.

Sie ist die Windbrise, die deine Haare an einem warmen Sommertag durcheinanderbringt. Sie ist der erste Schneefall im Winter, der Boden unter deinen Füßen und die erste Blüte im Frühjahr.

Physikalisch vermag vieles erklärt sein und man hält gerne an diesen Fakten fest, da sie einem Sicherheit verleihen, doch irgendwann geschehen unerklärliche Dinge.

Du siehst dasselbe Tier immer wieder, du fühlst immer wieder einen kalten Schauer und deine Nackenhaare stellen sich auf oder irgendwas holt sich immer wieder deine Aufmerksamkeit.

Und ehe du dich versieht lässt du dir das Tier als Tattoo stechen oder du rennst am Strand entlang, den du immer wieder in deinen Träumen siehst.

Und dann bleibt die Zeit stehen und die Welt schweigt.

Plötzlich bist nur noch du da, selbst die Möwen schweigen, die Leute scheinen nur noch verzerrt in Zeitlupe um dich herum zu laufen.

Und auf einmal kommt alles wie eine stürmische Welle wieder auf dich zu. Der Schmerz, die Trauer, die Erinnerungen an das, was mal gewesen war und nie wieder sein wird. Doch trotz allem lässt du dich nicht überwältigen. Trauer ist kein Prozess den man schrittweise abarbeiten kann, es ist ein Konstrukt aus Ups und Downs, und vor allem das Durchdrehen vermag sich öfters zu wiederholen als das einem das lieb ist. Jedoch weißt du auch, dass diese Person nicht gewollt hätte, dass dich dieser unglaubliche Schmerz, der dich einfach nur schreien lassen möchte wie an jenem Tag an dem du es erfahren hast, dich auffrisst. Lasse diesen negativen Einfluss nicht die Person verändern die du bist.

Ich habe einmal einen Satz gelesen, der mir bis heute nicht aus dem Kopf geht.

,,Ich sehe dich mit meinem Herzen, nicht mit meinen Augen.“

Und ich denke, dass dieser Satz nicht wahrer sein könnte.

Im Philosophieunterricht mussten wir einmal Aufsätze schreiben über ein metaphysisches Thema und ich beschäftigte mich mit dem Thema Körper und Seele.

Du siehst sie nicht mehr, der Körper deiner Person liegt begraben unter der Erde oder eingeäschert in einer Urne, doch du fühlst ihre Seele. Sie begleitet dich ein Leben lang, bis zu dem Tag, an welchem ihr euch wiedersehen werdet. Das ist es, was wir Schutzengel nennen.

Tag für Tag wird es sich ein bisschen mehr als nur okay anfühlen.

Tag für Tag ändern sich die Sonnenuntergänge.

Tag für Tag sterben mehr Sterne um den Himmel zu erleuchten.

Und jeden Tag heilst du im Inneren ein wenig mehr.

Du schaust in den orangen-roten Himmel und du weißt, dass auch du eines Tages wieder mit der Person vereint sein wirst, und ihr beiden zusammen die schönsten Sonnenuntergänge im Himmel gestalten werdet. 


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