Ein Weihnachtsengel

 


Ein Weihnachtsengel

Mein Name ist Kalina. Das ist bulgarisch, mazedonisch und polnisch. Gleich drei Sachen. Und der Name bedeutet Schneeball. Aber nicht wie der Ball aus Schnee, nein, ich wurde nach einer Pflanze namens Schneeball benannt. Gibt es wirklich, glaubt mir. Aber ja, ich hätte auch jedem zweiten den Vogel gezeigt der mir das verklickern wollen würde. Fazit: Ich wurde nach einem Schneeball benannt der nicht einmal echt ist und zur Sommerzeit blüht. Dabei war der Sinn hinter meiner Namensgebung, dass meine Familie quasi Santa Claus Nachfahren sind. Sie haben sogar den Grinch aus unserem Filmregal verbannt, kein Scherz. Bei uns fängt Weihnachten am 01.11 an und endet am 01.02. In der Zeit gibt es wohl die klischeehaftesten weihnachtlichen Dinge. Hässliche Weihnachtspullies, Kekse backen, Glühwein herstellen, Filme Marathon, unseren 2m großen Tannenbaum schmücken und wohl die höchste Stromrechnung des ganzen Landes in Kauf nehmen aufgrund unserer Weihnachtsbeleuchtung. Mein Zwillingsbruder und ich dürfen nun unsere kleine Schwester jeden Sonntag auf einem Schlitten zum Berg ziehen. So wie es unsere Eltern immer mit uns taten. Wisst ihr was das Ironische ist? Sein Name ist Talin. Übersetzt heißt das so viel wie ,,der an Weihnachten geborene“. Ein völlig normaler Name der aus dem Latinum entspringt und auch nur eine, klare Bedeutung hat. Wir wissen bis heute nicht wer zuerst geboren wurde, unsere Mutter wusste, dass das zu Argumentationen führen wird. Er hält sich metaphorisch für eine Art Freund von Jesus, da unser Geburtstag am 24. Dezember ist. Jepp, ich weiß, Klischee pur. Herzlich Willkommen, also in meiner sehr chaotischen Familie die Schneemänner bauen vor Kaffee trinken vorzieht. Aber ich liebe sie. Diese völlig von Weihnachten besessene Familie. Und ich liebe meinen Bruder, er ist mein zweiter Teil, ohne einander sind wir nichts. Er ist mein größtes Geschenk seit dem ersten Weihnachten an. Seit Jahren wünschen wir uns ein weißes Weihnachten, jedoch so gut wie unmöglich mittlerweile mit dem Klimawandel der da draußen vorgeht. Talin und ich wurden am letzten weißen Weihnachten geboren, das ist nun siebzehn Jahre her. Nur zwei Teenager, die sich eine Seele teilen und für Schnee an unserem Geburtstag beten. Ich liebe Weihnachten.

 Mein Name ist Kalina. Der Name kommt aus drei Sprachen. Er bedeutet Schneeball, aber die Pflanze, nicht der Schnee. Ja die gibt es, blüht zur Sommerzeit. Meine Familie verhält sich als wären sie die Gründer von Weihnachten. Für die gibt es kein Anfang und kein Ende davon. In dieser Zeit machen die wohl die Dümmsten klischeehaftesten Sachen die man nur machen kann. Könnt euch ja denken was für Sachen es sind, Spoiler, jede zweite Person von euch macht mindestens eins davon. Ja, nimm einfach das, woran du gerade denkst. Ich muss nun immer meine kleine Schwester einen Berg hochschleppen, damit die ihren Spaß beim Schlitten fahren hat. Ich hatte einen Zwillingsbruder. Wisst ihr was das Ironische ist? Sein Name war Talin. ,,Der an Weihnachten geborene“, viel besserer Name als meiner. Meine Mutter hat immer verschwiegen wer zuerst geboren wurde, er hat es nie erfahren. Er hielt sich metaphorisch für einen Freund von Jesus, jetzt ist er wo auch immer das sein mag. Der 24. Dezember als Geburtstag hat ihn nicht vor dem betrunkenen Fahrer retten können. Es hat ihm rein gar nichts gebracht. Herzlich Willkommen, also in meiner völlig chaotischen Familie die lieber den Tod meines Zwillings leugnet als die Realität zu sehen und die lieber Weihnachten weiterfeiert als wäre nichts passiert. Ich hasse sie. Diese völlig kaputte Familie. Ich liebte meinen Bruder, er war mein zweiter Teil, ich bin nun nichts. Er war mein größtes Geschenk. Talin und ich wünschten uns immer ein weißes Weihnachten wie an dem Tag unserer Geburt aber auch dieser Wunsch ist nicht mehr existent. Das ist nun achtzehn Jahre her. Nur zwei Teenager, die sich eine Seele teilten und die urplötzlich auseinandergerissen worden, ohne jegliche Chance. Ich hasse Weihnachten. 

Es sind nun noch sieben Tage bis zu dem großen Tag. Weihnachten. Eine Woche. Ihr könnt mich mit dem alten Mann aus dem Weihnachtsfilm ,,Eine Weihnachtsgeschichte“ vergleichen. Ungefähr so bin ich. Meine Mutter zwingt mich noch haufenweise Sachen zu erledigen, jeder Tag ist mit Arbeit gefüllt. Als wenn mich das Umstimmen würde, wie ich zu Weihnachten stehe. Mein Bruder ist weg, und er war der Grund, warum ich Weihnachten liebte. Es ist Montag, Das bedeutet, dass ich alte Klamotten an die Obdachlosen der Stadt spenden muss. Ich will natürlich. Das muss kommt von meiner Mutter. Es ist eisig, der Wind pfeift einen um die Ohren aber kein Schnee, gut, kann man wenigstens noch gut sehen und hat keine beißende Kälte auch noch vom Himmel fallend. Fast alles gespendet. Eine Jacke ist noch übrig. Ich gehe auf einen alten Mann zu, Ende vierzig, von dem Winter gezeichnet. Er sitzt in eine Decke eingewickelt an der Wand eines Supermarktes. Die herauskommenden Leute sehen ihn abwertend an. ,,Hier, für Sie.“, sage ich. So wie ich es bei jeden von ihnen gesagt habe. Meistens antworten sie nicht. Ich will mich umdrehen und wieder gehen da packt mich eine Hand am Handgelenk. Der Obdachlose schaut mich an. ,,Danke. Du bist so gütig wie dein Bruder.“ Ich erstarre. Er kannte ihn. Er kannte Talin. Der Mann fährt fort. ,,Er kam am Tag des Unfalls zu mir. Gab mir diese Decke, wollte sichergehen, dass es warm genug ist. Ihm war die Solidarität an Weihnachten so wichtig, der Zusammenhalt. So ein erschreckend tragischer Verlust.“ Ich nicke nur. Cool bleiben. Solidarität an Weihnachten, was ein Humbug, hat ihm auch nichts gebracht. Ich setze ein Lächeln auf und schlage den Weg nach Hause ein. Im Kopf spukt Talins Stimme rum, das tut er öfters seit er weg ist, meistens dann, wenn ich mich wie ein Arsch aufführe. Solidarität, Zusammenhalt.

 Dienstag. Beim Tannenbaumschmücken helfen im Stadt Zentrum. Seufzend reiche ich einer Frau eine Lichterkette weiter. Ich erinnere mich, wie mein Bruder und ich mit wasserfestem Edding auf die bunten Lichter vor dem Aufhängen gemalt haben, weil wir dachten, dass das Motiv dann ausgestrahlt wird. War nicht der Fall. Der Fall war, dass wir Achtjährigen ordentlich Ärger bekommen haben. Ein echtes Lächeln huscht über mein Gesicht. Die Erwachsenen stimmen ein Weihnachtslied an und ich ertappe mich dabei, wie ich mitsinge. Sofort höre ich auf. Nein. Das ist nicht richtig, kein Weihnachten ohne Talin.

 Mittwoch. Aufsicht auf der Schlittschuhbahn. Sanfte Schneeflocke fallen vom Himmel, es ist allerdings zu warm für liegenbleibenden Schnee. Ein Kind fällt hin, fängt an zu weinen. Mein Bruder ist dann immer zu mir gekommen und meint, dass der Schmerz wie Rudolph wegfliegen kann. Ich betrete die Eisbahn und erzähle das dem Kind und helfe so der überforderten Mutter die noch auf ihre zwei anderen Kinder aufpassen muss. Ich nehme das kleine Kind an der Hand und zusammen fahren wir auf der gespiegelten Fläche. Die Kleine hat Spaß, sie lacht glücklich und auch ich kann meine Freude nicht verbergen. Mein Bruder hat es immer geliebt, wie ich mit den Kindern umgegangen bin. Das ist das erste Mal nach dem Unfall. Und es fühlt sich verboten gut an.

 Donnerstag. Weihnachtsmarkt. Meine Prognose war richtig. Schnee kommt von oben aber bleibt nicht liegen. Mit den Händen in den Taschen schlendre ich durch die engen Gassen gefüllt mit den unterschiedlichsten Gerüchen. Ich erinnere mich an ein Gespräch zwischen mir und Talin letztes Jahr an einem Glühweinstand. ,,Ich sollte so ein Einkaufscenter Weihnachtsmann werden“, sagte er. ,,Du würdest den Kindern mehr Angst vor Weihnachten machen als sie dazu zu ermutigen.“, neckte ich ihn. ,,Gib mir ein tiefsinnigeres Thema zu Weihnachten“ ,,Weißt du, ich werde irgendwann als Krähe im nächsten Leben zurückkommen.“ ,,Warum? Weil du so unausstehlich bist?“ ,,Hallo? Nein! Krähen sind superintelligente und majestätische Tiere! Und sehen im Kontrast zum Schnee super aus.“ Ein Krächzen reißt mich aus meinen Gedanken. Ein Rabe. Oder eine Krähe? Ich kann die Viecher nicht auseinanderhalten. Sehr witzig Universum.

 Freitag. Hilfe beim Putzen der Kirche. Es wird immer kälter und die Kirche wird als Unterschlupf vor der Kälte dienen. Ich höre einen Priester die üblichen Sachen sagen. ,,Sei deinen Nächsten nahe“ oder sowas. Geht jedenfalls um Nächstenliebe. Dass niemand je wirklich weg ist und so. Wäre das so, wäre er noch da. Ich stelle mir gerade vor, wie ich meinen Geisterbruder bei meinem Geschick aus Versehen mit diesem Besen erschlagen würde. Ich lache. Talin hat immer sichergestellt, dass ich Weihnachten glücklich bin, er wusste, wie sehr ich die Zeit liebe. Liebte. 

Samstag. Das Feuerwerk angucken. Es ist mittlerweile so kalt, dass vereinzelt Glatteis auftritt. Der Schnee bleibt liegen. Bis morgen wird er so oder so weg sein. Ich bekomm ein Schneeball von einem der Kinder ab, die eine Schneeballschlacht anzettelten. Normalerweise würde ich mich jetzt aufregen. Nein. Falsch. Ich würde Talin ermutigen mitzumachen und diese Kinder für ihren Spaß Herausfordern. Und ich tu es. Ich forme einen Schneeball und lande einen Volltreffer. Nur nicht auf dem Kind. Sondern auf einem fremden Erwachsenen der mich nun mürrisch anstarrt. Ups. Zwei Sekunden später bekomm ich einen Schneeball ins Gesicht geklatscht von genau jenem Mann. Jener Mann, der nun lachend mit weiteren Leuten dem Schnee Krieg beitritt. 

Sonntag. Ich schlage meine Augen auf. Achtzehn. Mürrisch schlage ich die Vorhänge auf und mir verschlägt es die Sprache. Weiße Weihnachten. Dicker, fetter und flockiger Schnee, der vom Himmel fällt und liegen bleibt. Das Geburtstagsgeschenk meines Bruders. Ich lache. Noch nie habe ich seit dem Unfall mich ihm so nahe gefühlt. Es ist ein Wunder. Ich renne die Treppen runter, schnappe mir auf den Weg zwei Plätzchen, verschlinge diese noch auf den Weg nach draußen zum Frühstück, werfe mich in eine Jacke und Stiefel und bin endlich da. Ich bin da. Ich bin an dem Punkt, wo ich alles realisiere. Die Nächstenliebe hat mich die ganze Woche lang begleitet, der Zusammenhalt zwischen uns Menschen. Er war immer da. Mein Bruder. Er war wirklich nie weg. Ich schaue in das glänzende Weiß, auf einer Stromleitung sitzt eine Krähe die das Geschehen begutachtet. 

Mein Name ist Kalina. Wo der Name herkommt oder was er bedeutet ist nicht wichtig. Genauso wenig, was meine Familie zu Weihnachten macht oder ob sie den Grinch aus unserem Filmeregal verbannt haben. Wichtig ist nur, ich habe einen Zwillingsbruder. Sein Name ist Talin. Er ist mein Weihnachtsengel. 

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