Weihnachten mit Umständen

 


Weihnachten mit Umständen

                                   Ich schaue durch den Raum und erblicke ihn. Ich weiß es, er ist der Richtige.

Seufzend schlendere ich nun also auf den hageren Mann mit dem blonden Haaren und der Nickelbrille zu. Er rümpft gerade die Nase und schaut auf seine Checkliste. Gut, verfehlen könnte man den jetzt nicht.

,,Und Sie junger Mann?“, fragt er mich näselnd.

,,Ich glaube ich wurde Ihnen zugeteilt.“, antworte ich und halte ihm meinen Zettel mit seiner

Beschreibung unter die spitze Nase.

,,So so. Dann wollen wir mal sehen.“

Er rückt seine Brille zurecht und wirft erneut einen Blick auf seine Liste.

,,Wie ist denn ihr Name?“

,,Kalon.“, entgegne ich ungeduldig.

Meine Arme verschränken sich automatisch und mein Fuß will auch nicht so wirklich stillhalten.

,,Kalon Walker.“

,,Jepp, ganz genau, das bin ich.“

,,Nun denn, sind sie vertraut mit ihren Aufgaben?“

,,Ich helfe Santa nicht das erste Mal.“, sage ich immer ungeduldiger.

,,Wunderbar. Als ihr diesjähriger Betreuer muss ich sie nochmal auf unsere Sicherheitsvorkehrungen hinweisen, denn es hat höchste Priorität, dass“

Er kann seinen Satz nicht beenden. Lächelnd nehme ich meinen Kontrollzettel aus seiner Hand, bedanke mich halbherzig und gehe eiligen Schrittes aus der Tür heraus.

Manchmal hat man es als Weihnachtself von Santa wirklich nicht leicht.

Jedes Jahr aufs Neue ist es das Gleiche, du kommst aus dem Urlaub, ziehst einen Zettel mit der Beschreibung deines diesjährigen Betreuers und findest ihn. Er redet um den heißen Brei herum, obwohl du eigentlich schon alles weißt und predigt dir etwas von Santas Gaben.

Genervt rolle ich meine blauen Augen und stoße dabei draußen mit einer Person zusammen.

,,Pass doch auf wo du hinläufst.“, knurrt er mich an.

,,Keinen Grund gleich so schnippisch zu werden.“, gebe ich zurück.

Als wir uns ansehen drehe ich intuitiv schon wieder die Augen.

Dieses aschblonde Haar mit den braunen Augen würde ich überall wiedererkennen.

,,Adrian Anderson. Der Goldschatz unserer Elfenstation.“, grüße ich höhnisch.

,,Hätte ich gewusst das du es bist Kai, hätte ich nochmal extra zurückgestoßen.“, grinst er.

,,Ich heiße Kalon.“

,,Mir doch egal. Was willst du?“

Eigentlich müsste ich ihm nicht antworten, nur blockiert er den direkten Weg zu den Rentieren und wird mich ohne eine Erklärung nicht durchlassen.

,,Den Schlitten holen.“, sage ich also.

,,Der ist besetzt.“

,,Von wem?“, hake ich nach und hebe misstrauisch eine Augenbraue.

,,Von mir.“

,,Ich sehe weder Rudolf, noch Dancer oder Dasher neben dir.“ , argumentiere ich.

,,Ja weil ich gerade auf dem Weg war sie zu holen. Ich werde mir dieses Jahr den Pokal wieder sichern.“

Zur kleinen Erklärung, der Elf, der am meisten Vorbereitungsaufgaben für Weihnachten schafft, um den Weihnachtsmann zu unterstützen, bekommt am Ende der Saison einen Pokal für seine Mühen. Unser Wunderkind Adrian hier hat den nun seit drei Jahren in Folge geholt.

Jetzt wo ich das erzähle, steigt irgendwie eine Art Frustration in mir auf. Nicht weil ich den Pokal-, sondern einfach, weil ich besser als Adrian sein möchte.

,,Weißt du was“, starte ich meinen Satz.

,,Nimm ihn doch wenn du möchtest. Dieses Jahr bekomm ich ihn eh.“

Der Junge mir gegenüber fängt an zu lachen.

,,Wovon träumst du nachts?“

,,Na wenn du Angst vor Konkurrenz hast dann sag das doch einfach.“

,,Du und Konkurrenz? Niemals.“

Plötzlich kommt mir eine Idee. Ein Einfall der Adrian endlich mal auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

,,Wenn du so wenig Angst hast dann lass uns doch eine Wette abschließen.“

Nun hebt er eine Augenbraue.

,,Eine Wette?“

,,In sechs Wochen ist Weihnachten. Derjenige der am meisten bis dahin erledigt hat, hat gewonnen. Jedoch ohne Schlitten und ohne Magie. Nur wir zwei.“

Mein Gegenüber scheint nachzudenken und einen Entschluss zu fassen.

,,Bitte, wenn es dich glücklich macht eine neue Chance zum Blamieren zu haben, dann sag ich nicht nein.“
Ein Lächeln huscht über meine Lippen und ich strecke meine Hand aus.

Ihm wird es noch ordentlich blühen.

Ein wenig widerwillig schlägt er ein.

Ich verabschiede mich nur mit einem leichten Nicken und sobald er außer Sichtweite ist, fange ich an loszulaufen, das Tal runter in die Stadt.

Nur wenig später erreiche ich die lokale Bäckerei, sobald ich die Tür öffne, spüre ich die Wärme des Ofens auf meiner Haut und rieche die süßliche Vanille, welche von den frisch gebackenen Plätzchen in der Luft liegt. Die alte Frau an der Theke grüßt mich mit einem Lächeln, welches ich kurzerhand entgegne.

,,Hallo! Wie geht es ihnen Lydia?“, begrüße ich das bekannte Gesicht.

Lydia ist eine der wenige Personen die von allem Bescheid weiß.

,,Kalon, Herzchen, es tut so gut, dein Gesicht dieses Jahr wiederzusehen. Was kann ich denn für dich tun?“

,,Es ist auch schön sie wiederzusehen. Ich würde gerne 50 Schachteln mit Plätzchen abholen. Haben sie noch so viele da?“

,,Oh Herzchen, das tut mir jetzt leid, da bist du genau fünf Minuten zu spät. Ich bekam gerade einen Anruf von Adrian, er hat 50 für heute zum Abholen bestellt.“

Verdammt, dass es Handys gibt, hatte ich natürlich vergessen.

Ich seufze.

,,Weißt du, er und du sollten das Kriegsbeil endlich begraben. Wie lange arbeitet ihr jetzt schon für Santa?“

,,7 Jahre.“

,,Und wie lange könnt ihr euch schon nicht ausstehen?“

,,7 Jahre.“

Lydia schmunzelt und faltet ihre Hände zusammen als sie einen Blick zur Tür wirft und als wenn mich der Geist von Weihnachten bestrafen will, marschiert Adrian durch die Tür.

Grinsend hält er sein Handy hoch.

,,1 zu 0 für mich würde ich sagen.“

Ich muss mich echt zurückhalten nicht auf ihn loszugehen.

,,Adrian deine Bestellung liegt hinten im Lager, sei doch so lieb und hol sie nach vorne.“

,,Selbstverständlich Lydia.“

Er macht sich auf den Weg und mein Blick huscht zu ihr.

,,Er kann auch mal Anweisung befolgen?“, frage ich ironisch.

,,Herzchen, ihr beiden seit euch ähnlicher als ihr denkt. Er hat einfach Angst nicht gut genug zu sein, offensichtlich wie du, wenn du denkst es ist nötig so eine Art Wettstreit auszutragen. Woher kommt der Hass denn? Ist es wirklich nur wegen diesem Preis?“

Ich will Ja sagen, mein Mund öffnet sich, doch schließt sich kurze Zeit später wieder.

,,Ich denke nicht.“, gebe ich kleinlich zu.

,,Woher rührt es dann ist doch hier die Frage?“

Ich habe keine Chance mehr zu antworten, da Adrian vollgepackt zurückkehrt.

,,Danke Lydia. Wir sehen uns. Tschüss Kaden.“

,,Kalon!“, ruf ich ihm angepisst hinterher, doch er ist schon aus der Tür raus.

,,Er weiß nicht einmal wie ich heiße nach 7 Jahren!“, beschwere ich mich eingeschnappt und verschränke die Arme.

Lydia hat nur ihr seliges Lächeln auf den Lippen und macht sich auf den Weg zum piependen Ofen.

Ich deute das als ein auf Wiedersehen und verlasse ebenfalls die kleine Bäckerei.

Woche 2.

Ich schaue auf meinen Zettel und stelle stolz fest, dass ich in der letzten Woche nach dem Plätzchen Desaster noch einiges geschafft habe. Adrian bin ich gekonnt aus dem Weg gegangen.

Gerade auf dem Weg nach draußen, um den Vorrat von Geschenkpapier aufzustocken, renne ich meinem Betreuer in die Arme.

Super gemacht Kalon, das ist genau das, was du jetzt brauchst.

Die näselnde Stimme ertönt nur eine Sekunde später.

,,Ahhh Kalon, gut dass ich dich erwische, ich suche noch einen meiner Schützlinge, der mit einem von Richards Leuten das neue Rentier abholt.“

Ich kann schlecht nein sagen, also stimme ich zu und mach mich auf dem Weg zum Schlitten. Schreib ich das halt nicht auf die Liste der Aufgaben, um nicht zu schummeln, eine Wahl habe ich ja schlecht.

Eine Mütze wird noch schnell über meine braunen Haare gezogen und los geht es, doch schon sobald der Schlitten in Reichweite ist, höre ich ein ,,das kann doch nicht wahr sein.“.

Meine Füße scheinen selbstständig umkehren zu wollen als ich ihn auf dem Schlitten sitzen sehe.

,,Du bist Richards Schoßhund?“, frage ich.

,,Ich bin sein Helfer.“, antwortet Adrian schnippisch.

,,Ein und dasselbe.“, erwidere ich als ich zu ihm auf den Schlitten steige.

,,Du wolltest doch nicht schummeln oder?“, er schaut mich misstrauisch an.

,,Nein, du?“

,,Niemals.“

Damit beginnen wir unsere schweigsame Fahrt zur Rentierfarm.

Mitten auf der Fahrt ertappe ich mich, wie ich ihm einen Blick zuwerfe und sein Profil betrachte.

Die Helle glattrasierte Haut, die stumpfe Nase und die vollen Lippen. Die buschigen dunklen Augenbrauen im Kontrast zu seinen hellen Haaren. Ich erkenne, dass seine Wangenknochen markant sind, sein Kinn ein wenig schmal.

Ich blinzele den Moment und die Gedanken weg. Was in Namen von Santa war das denn gerade?

Kurz vor unserem Ziel ertappe ich ihn dabei, wie auch er mich kurz anschaut, peinlich berührt drehen wir uns beide weg und behalten Stillschweigen.

,,Schönes Tier.“, sage ich an der Stalltür angelehnt, als Adrian dem Rentier das Zaumzeug anlegt.

,,Sie ist trächtig.“ , bemerkt er sachlich.

,,Das müssen wir melden.“, fährt er fort.

,,Oder sie ist einfach fett.“, sage ich mit einem Schulterzucken.

Adrian wirft mir einen undefinierbaren Blick zu.

,,Ihr Fell ist sehr weich, die Rundungen des Bauchs zu definiert damit es reine Fettmasse sein kann. Ihre Hufe schimmern leicht. Definitiv nicht fett.“

,,Du kennst dich gut aus.“

,,Meine Mutter besaß ein Rentier, ich bin mit ihm aufgewachsen. Sie wusste alles über die Tiere und brachte mir alles bei.“

,,Was ist passiert?“, frage ich.

Er wirft mir einen fragenden Blick zu.

,,Du sprichst in der Vergangenheitsform.“

Adrian senkt seinen Kopf.

,,Sie ist gestorben.“

,,Das tut mir leid.“

Für einen Moment breitet sich Stille aus. Die Holzsplitter der Tür scheinen sich plötzlich in meine Haut zu bohren und er krault das stinkende Fell des Rentiers. Es war mir neu eine sensible Seite an ihm zu entdecken, anscheinend ist er doch nicht immer so distanziert wie er tut.

,,Wir sollten los Kaleb.“

,,Ka- ach vergiss es.“

Woche 3.

Adrian und ich sind uns ab und zu noch über den Weg gelaufen, natürlich nicht ohne ein paar blöde Kommentare abzugeben. Mit 25 erledigten Aufgaben scheine ich allerdings vorne zu liegen. Heute ist ein besonderer Tag, fast alle Elfen sind im örtlichen Kinderkrankenhaus, um unsere jüngsten Einwohner zu beschenken.

Ich laufe durch den mit Leben gefüllten Raum und sehe ein Mädchen in der Ecke, mit meinem Geschenksack gehe ich auf sie zu.

,,Na du, ich bin Kalon. Möchtest du vielleicht diese coole Barbie hier haben?“

,,Ich bin mir sicher, dass du ein ferngesteuertes Auto viel toller finden würdest!“, höre ich diese altbekannte Stimme neben mir.

Adrian hat sich eiskalt neben mich gehockt und hält ihr ein blaues Auto vor die Nase.

,,Das macht wesentlich mehr Spaß als so eine blöde Puppe.“, versucht er sein Geschenk anzupreisen.

Ich glaub es nicht, der Junge lässt keine Chance aus sich vor mir zu beweisen.

Wortlos nimmt das kleine Mädchen die Barbie und das Auto an sich und fängt an wegzurennen.

Sprachlos schauen wir uns an.

Der andere Elf hebt seine Augenbrauen und kräuselt seine Lippen.

,,Schlau ist sie.“

Ich möchte etwas erwidern, doch wir beide werden zum nächsten Aufenthaltsraum gerufen von den Teenagern.

Wir laufen also durch den polierten Gang in welchem Desinfektionsmittel durch unsere Nasen sticht und das grelle Licht von der Decke ätzend auf uns niederscheint.

Wir betreten den Aufenthaltsraum, in welchem zwei Mädchen gerade heftig diskutieren.

,,Die Weihnachtselfen sind da!!“, rufe ich dazwischen um die Gemüter zu beruhigen.

Adrian guckt mich mit zusammengezogenen Augenbrauen und ausdruckstarken Augen an.

,,Die sind doch nicht fünf.“

,,Wir sind doch nicht fünf.“, wiederholt eines der Mädchen mit dem gleichen Ausdruck.

Gut, dann eben nicht.

,,Fragen wir die beiden doch einfach nach ihrer Meinung.“, schlägt das eine Mädchen mit braunen Locken vor.

Das andere Mädchen mit blonden Haaren neigt ihren Kopf etwas zur Seite.

,,Okay.“

In der nächsten Sekunde werden Adrian und ich mit an den Tisch gezogen und das braunlockige Mädchen tippt auf ein Foto aus einer Klatsch Zeitung, auf welchem Ezra Miller abgebildet ist.

,,Der ist doch zu einhundert Prozent schwul oder nicht?“, fragt das Mädchen.

Ich bemerke ein Regenbogenarmband an ihrem Handgelenk.

,,Neee, der dated doch safe dieses eine Supermodel da.“, kontert das blonde Mädchen.

,,Ja das männliche Supermodel. Bei dem geht mein Gay Radar an.“, geht die Konversation weiter.

Adrian blinzelt verwirrt und stellt dann die Frage, die ich mir auch stelle.

,,Warum genau sollen wie uns damit auskennen?“

Das Mädchen mit dem Armband schaut ihn an, als wäre er komplett verblödet.

,,Weil wir mehr Gay Radare brauchen, du und dein Freund sind perfekt dazu geeignet.“

,,Woah woah woah, er ist NICHT mein Freund!“, gehe ich jetzt dazwischen.

Jetzt bekomme ich den bist-du-eigentlich-komplett-verblödet-Blick ab. Und zwar von beiden.

,,Vorher spring ich aus dem fliegenden Schlitten von Santa aus 1000 Meter Höhe.“, sagt auch Adrian jetzt.

,,Ihr seid kein Paar?“

,,Nein?!“, kommt es gleichzeitig aus beiden unserer Mündern.

Mit gehobenen Augenbrauen klappt das Regenbogenarmbandmädchen das Heft zu.

Sie steht auf und geht Richtung Tür mit ihrer blonden Freundin.

Diese neigt ihren Kopf wieder ein wenig zur Seite.

,,Selbst mein Radar ist angegangen und ich hab nicht einmal einen.“

Damit verlassen die beiden den Raum.

,,Tja Kaian, kannst demnächst mit Regenbogenmütze los.“

Er zieht mir die Weihnachtsmütze vom Kopf und platziert sie wieder auf meine verwuschelten Haare.

Ich drehe die Augen, doch merke, dass ich dabei grinse.

Woche 4.

Ich stehe gerade in der Schneiderei, um Stoffe abzuholen, und meinen 35. Punkt von der Liste zu streichen, als ich plötzlich Schreie von draußen höre.

Sofort lasse ich die Stoffe liegen und eile nach draußen.

Alles, was ich sehe, sind Menschen die sich ebenfalls umschauen.

Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehe mich um und blicke in die braunen Augen mir gegenüber.

,,Bist du okay Kalon?“, fragt er.

Mein Herz scheint ohne Grund einen Schlag auszusetzen.

Er hat mich bei meinem richtigen Namen genannt.

Langsam nicke ich.

,,Und du?“

Er nickt auch besorgt, bewegt die Hand trotz allem nicht von meiner Schulter.

,,Ich hab nur einen Schrei gehört und bin direkt aus der Bücherei raus.“

,,Ich hab sogar mehrere gehört.“, sage ich.

Auf einmal wieder. Schreie. Doch diesmal deutlicher. Das waren keine Schreie aus Panik, das waren Freudeschreie. Aus dem Nichts stürmt eine Horde Kinder auf den vor uns liegenden Marktplatz, jeder von ihnen einen Schneeball in der Hand.

Es war eine Schneeballschlacht.

,,Achtung .“, sagt Adrian sanft und zieht mich zur Seite als ein Schneeball auf uns zurast.

Doch dann ändert sich sein Gesichtsausdruck zu einem schelmischen Grinsen.

Hinter seinem Rücken macht er eine Handbewegung und der Schnee von hinter uns trifft auf meinen Hinterkopf.

,,Hey wir haben gesagt keine Magie!“, beschwere ich mich.

Adrian zuckt mit den Schultern.

,,Das galt für die Aufgaben, außerdem sind Regeln zum Brechen da.“

,,Ach wenn da so ist.“

Mit voller Wucht lass ich den schon längst mit Magie geformten Schneeball in meiner Hand auf ihn zufliegen. Volltreffer.

Er keucht einen Augenblick, dann fängt er an, auf mich zuzurennen.

Lachen nehme ich die Beine in die Hand und suche Schutz hinter einer von den Kindern erbauten Schneemauer zusammen mit ihnen.

Als ich ihn nicht mehr sehe, wage ich mit den Kindern einen Blick, nur um von der gegenüberliegenden Mauer einen Schneeball abzubekommen. Adrian hat sich ebenfalls mit den anderen Kindern verbündet.

,,Alle auf Kale dahinten! Das ist der blonde Typ da!“

,,Lern endlich meinen verdammten Namen Aaron!“, feuere ich zurück mit einem Schneeball als Gruß.

,,Mensch Kalle, werde mal ein bisschen kreativer als Aaron!“, ruft er lachend.

,,Aiden, Alec, Alessian, mir doch egal!“

In Lache ausgebrochen, feuere ich die Kinder auf meiner Seite zu einem stärkeren Beschuss an.

Woche 5.

Frierend umschließe ich die Jacke fester um mich. Die Kälte beißt sich mittlerweile durch die dicksten Klamotten. Adrian kommt wieder und reicht mir einen Glühwein. Zusammen lehnen wir uns gegen die Barriere der Schlittschuhbahn und passen auf, dass sich niemand verletzt beim Hinfallen.

Wir einigten uns vor ein paar Tagen darauf, dass beide die Aufsicht als Aufgabe abhaken dürfen.  Irgendwas hat sich verändert, wir redeten miteinander wenn sich unsere Wege kreuzten, die blöde Sprüche wurde zu neckenden Kommentaren und die Blicke anders.

Wir beide hatten natürlich nicht an Handschuhe gedacht, somit ist der Wein wohl das Einzige, was uns warmhält. Wobei mir komischerweise schon wieder warm ist seit Adrian mit den Bechern zurück ist, dabei habe ich noch keinen Schluck getrunken.

Unsere Becher ruhen auf dem Holzbalken, unsere Hände direkt daneben. Plötzlich spüre ich seinen kleinen Finger auf meinem. Konzentriert versuche ich mein laut schlagendes Herz zu ignorieren, versuche meinen Fokus auf die spiegelglatte Eisfläche zu richten, versuche zu ignorieren, wie sein Finger nun meinen umschließt, versuche auszublenden wie sein Körper sich seitlich zu mir dreht und näherkommt.

Ich versuche zu ignorieren, wie all das endet als zwei bekannten Weihnachtselfen auf uns zukommen, um unsere Schicht zu übernehmen. Adrian begrüßt sie lächelnd.  

Nachdem auch ich sie begrüßt habe, laufen Adrian und ich in das angrenzende Gebäude der Bahn.

,,Wollen wir zusammen zurück?“, frage ich.

,,Ja, ich geh nur noch schnell auf Toilette.“

,,Beeil dich.“

,,Ja natürlich, ich pinkle einfach schneller.“, sagt er genervt.

Nach ein paar Minuten kommt er grinsend auf mich zu. In jeder Hand ein Paar Schlittschuhe.

,,Ganz sicher nicht.“, sage ich.

,,Ganz sicher doch.“, entgegnet er.

,,Adrian ich kann kein Schlittschuhfahren.“

,,Ich bring es dir bei, halt dich einfach an meiner Hand fest.“

,,Nein ich diskutier da auch nicht, ich“

Mein Gegenüber guckt schnell in alle Richtungen und zwei Handbewegungen und ein wenig Magie später, haben wir die Schuhe schon an.

,,Du raubst mir meinen freien Willen.“

,,Quatsch, das ist Überreden mit Stil.“

Er hält mir die Hand hin und widerwillig nehme ich sie.

Zusammen trappeln wir bis zum Anfang der Fläche, er geht geschickt aufs Eis und streckt beide Hände aus. Ich greife nach ihnen und bin ebenfalls auf dem Eis.

Adrian fährt ein Stück rückwärts, sodass ich mich immer noch in beide Hände krallen kann. Dann lässt er eine los und langsam bewegen wir uns nebeneinanderher.

,,Siehst du, ist doch gar nicht so schwer.“

,,Mhm.“, murmle ich nur.

,,Jetzt versuch es mal alleine!“

,,Was? Adrian, nein.“

Doch es ist zu spät. Er hat meine Hände losgelassen und fährt wieder rückwärts, seine Arme ausgestreckt wie ein Vater, der seinem Kind gerade das Laufen beibringt.

,,Klappt doch super!“, lacht er.

Ich möchte gerade etwas erwidern, als ich ausrutsche, hektisch nach seinen Armen greife, stattdessen seine Jacke erwische und ich ihn unter mir zu Boden bringe.

Sein Gesicht ist nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt, ich spüre seinen warmen Atem auf meiner kühlen Haut. Ich sehe wie das tiefe braun seiner Augen den Ozean meiner erkundet, ich spüre seine Hände auf meiner Hüfte.

Doch vor allem spüre ich ein Gefühl in mir. Ein Gefühl, als würden tausende Feuerwerkskörper durch meinen Bauch huschen, als wäre plötzlich Sommer geworden, als wenn dieser Mensch unter mir plötzlich etwas so Essentielles in meinem Leben darstellt.

Die Sekunden fühlen sich wie Stunden an, die Zeit um uns herum scheint in Zeitlupe zu laufen, die anderen Schlittschuhfahrer ausgeblendet, wenn nur verzerrt sichtbar.

Meine Augen lösen sich von seinen und werfen einen Blick auf seine Lippen, und fast automatisch neigt sich mein Kopf weiter nach unten.

Soweit bis ich plötzlich eine Hand auf meinem Arm spüre, die mich hochzieht.

,,Alles okay?“, fragt einer der neuen Aufsichtselfen.

,,J-Ja.“, stammle ich nur.

Ich kann euch nicht sagen warum, doch mit kleinen, schnellen, vorsichtigen Schritten gelange ich zum Ausgang der Eisbahn und flüchte vor der Situation.

Woche 6

Es ist Montag. Gestern war das Schlittschuhlaufen und die neue Woche bricht gerade an. Die Woche die tatsächlich nur einen Tag dauert, da heute schon der große Tag ist. Weihnachten. Ich gebe gerade meinen Zettel mit den erledigten Aufgaben ab, insgesamt sind es 48 geworden.

Wir werden in einem großen Saal in eine Reihe aufgestellt, um Santa zu begrüßen. Ich entdecke Adrian ein wenig weiter rechts von mir. Als sich unsere Blicke treffen, merke ich, dass ich starrte. Schnell senke ich meinen Blick wieder.

Sehen kann ich nicht was passiert, doch ich höre jedes Detail. Die Schritte die sich entfernen, das motzige ,,Adrian wo willst du hin, Santa kommt jeden Moment!“, seines Betreuers. Ich erblicke nur noch sein blondes Haar, welches gerade um die Ecke geht. Keine Kontrolle. Meine Beine verselbstständigen sich, eiligen Schrittes fangen sie an zu folgen, bis sie immer schneller werden und schließlich rennen. Raus dem Saal, durch den Gang, durch den Aufenthaltsraum hindurch und mit Schwung öffne ich die Tür und renne direkt in Adrian rein.

,,Pass auf wo du hinläufst!“, knurrt er mit verzogener Miene.

Ein Ausdruck der sofort weich wird als er erkennt, wer gerade in ihn reingelaufen ist.

,,Kalon…“

Das brachte das Fass zum Überlaufen, mit pochendem Herzen gehe ich schnellen Schrittes auf ihn zu, umschließe sein Gesicht mit meinen Händen und platziere einen sanften Kuss auf seinen Lippen.

Er zieht mich zu sich ran und erwidert jenen Kuss.

Als wir uns voneinander lösen, fängt er an zu lachen.

Verwirrt schaue ich ihn an.

,,Bin ich wirklich so schlecht?“, witzle ich.

,,Nein, nein absolut nicht. Diese ganze Situation ist nur so unglaublich verrückt. Vor 6 Wochen bist du genau hier in genau mich reingerannt und das hat plötzlich alles verändert. Damals hätte ich jedenfalls nicht gedacht, dass wir nochmal hier landen und dann auch noch so.“

Ich lächle.

,,Es ist verrückter wenn man bedenkt, dass wir uns seit 7 Jahren kennen.“

Adrian schüttelt den Kopf.

,,Überhaupt nicht. Ich bemerke dich seit Jahren. Wie du lachend vom Snowboarden kommst mit deinen Freunden, wie du deine Finger aneinander reibst, wenn die Magie mal nicht funktionieren möchte. Wie sich das Kaminfeuer in deinen Augen widerspiegelt und wie du den größten Golden Retriever Charakter aller Zeiten hast. Ich bin immer so fies gewesen, weil ich dachte, dass ich niemals auch nur ansatzweise an dich rankommen werde.“

,,Machst du Witze? Adrian, du bist der begabteste Elf den ich kenne. Was du jedes Jahr leistest, ist einfach unglaublich, wie du mit den Rentieren umgehst und wie du es schaffst dieses blonde Haar so gesund zu halten!“

Er lacht.

,,Gemüse.“, ist seine Antwort.

,,Und auch jetzt hast du mich wahrscheinlich übertroffen bei unserer Wette.“

,,Wieviel hast du denn geschafft?“, fragt er.

,,48.“, antworte ich.

,,51.“, sagt er.

Mein Mund öffnet sich, schließt sich dann aber wieder und ich schlucke die Niederlage einfach runter.

,,Das sind nur drei mehr!“

,,Drei entscheidende.“, er grinst.

Ich rolle die Augen und werde als Trost in seine Arme gezogen.

Wenig später gehen wir zurück in den Saal, um uns die Standpauke abzuholen die wir ordentlich verdient haben.

Es gab zum Glück keine Strafen und wir konnten uns noch rechtzeitig wieder einreihen, bis Santa kam. Er hielt seine typische Rede, erzählte uns, dass wir ein Weihnachtsgeschenk erhielten, denn ein Rentier Baby wurde geboren und als Adrian den diesjährigen Pokal erhielt, war ich derjenige, der am lautesten von allen klatschte.

Nach der jährlichen Zeremonie entwickelte sich ein enormes Gewusel im Saal.

Ich schaue durch den Raum und erblicke ihn. Ich weiß es, er ist der Richtige.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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