Ein Weihnachtsengel Teil 2

Ein Weihnachtengel Teil 2

Mein Name ist Kalina.

Ich bin mir sicher, ihr habt schon einmal von mir gehört. Ich war die, deren Name Schneeball bedeutete, auch wenn damit die Pflanze Schneeball gemeint ist.

Ich war diejenige, die Weihnachten verabscheute, seit mein Zwilling Talin starb, und ich war diejenige, die an ihrem achtzehnten Geburtstag die Liebe zu Weihnachten wiederentdeckte.

Zu eurem Vorteil erlasse ich euch jetzt die ewigen Schwafeleien wie unglaublich weihnachtlich doch meine Familie ist, wichtig ist nur, dass der Prozess vom Hass zur Liebe ein Eingeständnis erforderte. Das Geständnis, dass mein Bruder nie wirklich weg war und mich in der Woche meines Wandelns immer begleitet hat.

Es ist ein Jahr vergangen.

Zugegebenermaßen huscht mir ein Lächeln über die Lippen, wenn ich hier sehe, wie viele vertraute Augen doch auf mir ruhen. Wie geht es euch? Wie waren eure 365 Tage seit ihr das erste Mal mit mir in Kontakt gekommen seid?

Lasst mich euch erzählen, wie ich zurechtgekommen bin.

Ich trat dem Weihnachtsorganisationsteam unserer Stadt bei, und ja, das gibt es wirklich bei uns. Der Obdachlose, dem ich damals die Jacke gab, er lebt nun ein paar Straßen weiter in einer gemütlichen Wohnung. Die Mutter mit ihren drei Kindern lebt ihr bestes Leben mit ihnen irgendwo in Spanien. Dem Kirchenverein helfe ich nun auch, wer weiß wer meinen Geisterbruder im Jenseits durch die Gegend jagt.

Ich hatte einen wundervollen Sommer, erkundete ganz Europa zusammen mit meinen Freunden, den süßen Italiener ließen wir allerdings da, wo er war. Dafür traf ich meinen Freund nur wenig später Anfang Herbst in London. Pünktlich zum ersten Schnee war ich wieder zu Hause und hier sind wir nun, noch eine Woche bis Weihnachten, eine Woche bis zu meinem 19. Geburtstag.

Also lasst mich euch mitnehmen, um diesen Tag ganz besonders zu machen.

Montag

Ich bin auf dem Weg zum Supermarkt, um schon einmal alles einzukaufen. Als ich gerade das leuchtende Neon-Schild mit einer Krähe obendrauf sitzend erblicke, bemerke ich eine Hand auf meiner Schulter. Es ist Rupert, der ehemalige Obdachlose. Als ich damals dem Kirchenverein beigetreten bin, bin ich ihm öfters begegnet und wir redeten viel. Er erzählte auch Sachen über Talin, denn ab und zu kreuzten sich auch ihre Wege.

Er begrüßt mich mit einem warmen Lächeln und zusammen betreten wir den Laden. Während wir beide durch die Gänge schlendern und Snacks, sowie Getränke einkaufen, erzählt er davon, dass er endlich einen zweiten Job gefunden hat. Ich drücke meine Freude aus und übernehme letzten Endes die Kosten seines Einkaufs. Er bedankt sich mit einer herzlichen Umarmung und unsere Wege trennen sich.

Dienstag

Ich sitze mit den Beinen wippend an meinem Schreibtisch und kreiere kleine Zeichnungen auf die Einladungskarten. Meine Mutter hat beschlossen eine doppelte Party daraus zu machen und auch Weihnachten mit anderen Leuten zu feiern.

,,All i want for Christmas is youuuuuu”, singe ich schief in Synchro mit meinen Kopfhörern mit.

Plötzlich werden mir diese vom Kopf gezogen. Erstaunt blicke ich auf nach oben, mitten in das Gesicht meines grinsenden Freundes.

,,Das ist aber schön zu wissen.“, sagt er lächelnd.

,,Du bist wirklich gekommen!“, erwidere ich lachend und falle ihm um den Hals.

,,Ich verpass doch deinen Geburtstag nicht.“
Hand in Hand schlendern wir den Mittag über, durch den ganzen Weihnachtsmarkt, abends gehen wir noch zum Schlittschuhfahren.

Als wir nachts eingekuschelt im Bett liegen, starre ich durch mein Deckenfenster und sehe den leisen rieselnden Schnee auf das Fensterglas fallen. Ich denke an Talin, und wie er vermutlich gerade auf uns herabsieht und uns diesen Schnee schickt. Als ich die Augen schließe, bin ich der Meinung in weiter Ferne ein Krächzen zu vernehmen.

Mittwoch

Wir sind zusammen beim Tannenbaum schmücken. Lächelnd nehme ich die kleinen bunten Lichter in die Hand und gehe zur Seite.

Mein Freund guckt mich fragend an, doch ich ignoriere ihn und hole einen Edding aus meiner Tasche. Als ich ihn öffne, beißt mir der penetrante Geruch förmlich in die Nase. Vielleicht ist es nicht ganz so gesund, den Deckel mit den Zähnen festzuhalten, doch ich habe leider keine andere Hand frei, bin schließlich auch nicht als Oktopus geboren worden.

Auf das kleine rote Licht male ich ungeschickt zwei kleine Strichmännchen, die Händchen halten, auf das blaue in meiner anderen Hand, kommt eine wirkliche hässliche Krähe. Besser ging es nicht.

Ich klettere auf die Leiter neben dem Baum und platziere sie an der Lichterkette.

Donnerstag

Ich sitze mit den Kindern der Stadt in der Kirche und bastle Weihnachtsdeko mit ihnen. Ein kleines Mädchen zeigt mir ihren Rudolph, der aussieht, als hätte er mindestens zwei Schneestürme und drei Schlittenabstürze erlebt, doch ich nicke lächelnd und lobe das Kind. Parallel erzähle ich ihnen die Geschichten vom Weihnachtsmann und dankbar nehme ich einen demolierten Santa mit einem fehlenden Bein und zwei Glubschaugen als Geschenk von einem der Kinder an. Ich werfe selbst einen Blick auf mein eigenes Blatt, auf welchem ich weiter meine Zeichenkünste übe, und begutachte die einigermaßen gelungene Krähe.

Freitag

Meine Mutter kam auf die Idee, in meinen Geburtstag reinzufeiern, sodass Weihnachten und mein Geburtstag zumindest einigermaßen voneinander getrennt sind. Daher stehe ich jetzt schon im Wohnzimmer, um alles für morgen vorzubereiten. Aus einem alten Karton krame ich gerade wirklich scheußliche Deko hervor, als ich erstarre. Langsam lege das altbackene Porzellan zur Seite und greife in den Karton. Ich hole einen dicken, grauen Pulli hervor. Betrachtend sitze ich auf dem Boden und halte den Pulli einen Meter von mir entfernt. Dann drücke ich in fest an mich, umarme ihn, und lasse Talins Geruch durch meine Nase dringen. Von meinen stillen Tränen abgelenkt, bemerke ich nicht, wie eine kleine, schwarze Feder aus dem Inneren des Pullis, auf den Boden segelt.

Samstag

Leute umarmen mich, fragen mich, wie es denn sei bald 19 zu sein. Die Antworten sind immer dieselben, nicht viel anders, ganz okay, normal halt. Küsse auf die Wange werden gegeben, Plätzchen in den Mund gedrückt und Hände fast gebrochen bei den Handschlägen.

3..2…1

Alle jubeln, ich werde in eine Masse gedrückt, spüre nur noch tausend Körper die meinen förmlich zerdrücken. Schmecke fast die Masse an Parfüm bei einigen Leuten und lasse mich feiern.

19.

Es fühlt sich tatsächlich nicht anders an. Halbherzig versuche ich die Konversationen aufrecht zu erhalten, versuche die tausend Senioren bei Laune zu halten und versuche meinen Freund in der Masse zu finden.

Und als ich dies gerade tue, werde ich gezwungen, die Geschenke auszupacken.

Ein Zeichenset, viel Geld, neue Klamotten, die alljährlichen Stricksocken meiner Großmutter 2. Grades und ganz viel weiteres Zeug.

Kuchen wird gegessen, Konfetti fliegt durch die Gegend und das Schwarz der Nacht verschluckt das Schwarz, welches beobachtend durch den Himmel fliegt.

Sonntag

Meine Fußabdrücke sind klar im Schnee sichtbar, sie kennzeichnen den Weg, den ich entlang gehe. Die Straße entlang, den Berg hoch, durch das Tor, geradeaus, rechts, wieder geradeaus und dann links. Ein bestimmter grauer Pulli hält mich warm. In meinen Armen liegt ein wunderschöner, prächtiger Blumenstrauß. Ich knie nieder, knie nieder vor diesem grauen Stein mit der Inschrift und lege den Strauß ab. Ich fahre mit den Fingerspitzen über den Stein, spüre die Kälte auf meiner Haut. Der Friedhof ist nicht gerade der schönste Ort, um seinen Geburtstag zu feiern, doch gerade würde ich nirgendwo anders sein wollen. Es ist auch sein Geburtstag.

Der Schnee fällt auf mich runter, die Welt scheint am Weihnachtsmorgen still. Die Welt ist stummgeschaltet. In Stille ehre ich meinen Bruder, feiere ihn.

Die Stille wird gebrochen. Ein Krächzen.

Ich drehe meinen Kopf und sehe eine Krähe auf dem Baum am Weg sitzen. Sie krächzt erneut. Legt ihren Kopf schief und beobachtet mich.

,,Weißt du, ich werde irgendwann als Krähe im nächsten Leben zurückkommen“

Das sagte er damals zu mir.

Ich lache unter Tränen.

Ich sehe dich mit meinem Herzen und nicht mit meinen Augen Talin.

Ich sehe dich.

,,Happy Birthday und frohe Weihnachten Talin.“, wispere ich der Krähe zu. 


 

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