Wir gegen die Welt

                                               Wir gegen die Welt

Ich dachte immer die Welt würde mit einem lauten Knall und ewiger Feuerbrust zunichte gehen. Ich dachte, dass unsere Generation in ein paar Milliarden Jahren, zum Zeitpunkt des Endes, wie in den großartigen Action Filmen gebannt auf dem Dach eines Hochhauses steht und den Feuerball betrachtet, der auf sie zukommt. Jetzt weiß ich, dass ich falsch lag.

Wenn ich im Sommer in den so gefährlichen, grellen Feuerball starre, welcher mir das Lesen meines Buches schwer macht, realisiere ich, dass er nur ein Teil der massiven Zerstörung sein wird, und auch schon ist. Das Buch wird zugeklappt, und ich flüchte vor der ewigen Hitze in mein Zimmer. Das Buch kommt im Bücherregal unter, zu den anderen hundert Geschichten, anderen hundert Leben von fiktiven Personen. Zu den anderen hundert Welten in die ich eintauche, um diese Welt zu vergessen. Viel lieber kämpfe ich mit dem Protagonisten gegen Drachen oder löse einen Kriminalfall, als das Ausfechten der realen Kriege zu beobachten oder im Unterricht eine Lösung für die sozio-politischen Probleme des Landes zu finden.

Ich entsperre mein Handy und schaue auf die Nachrichten-App, um für meinen Wirtschafts- und Politikunterricht am nächsten Tag gewappnet zu sein. ,,Hundert neue Opfer im Russland-Ukraine Krieg.“, ,,Massenschießerei in einem Einkaufszentrum.“, ,,Ein junges Mädchen wurde mehrfach vergewaltigt und-“

Das Handy mach ich direkt wieder aus und schmeiße es auf mein Bett, die Gedanken rasen in meinem Kopf. Wie kann das Geschenk des Lebens zu so einem derartigen Fluch werden? Wann ist diese Welt so grausam geworden? Rasch stehe ich auf und eile zu meiner Tasche, mit einem Griff häng ich sie mir über meine Schulter und mache mich auf den altbekannten Weg.

Es ist als schreien mich die Schlagzeilen förmlich an. Sie geben keine Ruhe sie sind so laut, dass ich am liebsten selbst schreien würde. Dann spüre ich den so vertrauten Druck meiner Tanzschuhe auf meinen Füßen. Mit jeder Bewegung werden die Stimmen leiser, mit jedem Schritt die Zeit langsamer. Mein Körper kennt die Choreografie, fast von selbst bewegt er sich durch den Raum, drückt die Emotionen, Gefühle und Gedanken aus, die ich mit Worten nicht greifen kann.

Ich entscheide noch einen Abstecher in die Stadt zu machen. Kleingeld habe ich immer bei mir, es ist Routine geworden dieses Geld bei Straßenmusikern und Obdachlosen loszuwerden. Für die Menschen ist Ignoranz zur Normalität geworden, es ist die beste Lösung, die einfachste. Das ein oder andere Cent Stück wird manchmal gegeben, die Menschen hinter dem Becher doch meistens nie beachtet. Ich spreche mit einigen, die Schicksale so verschieden und allesamt grausam. Alles, was sie wollen, ist überleben in einer Welt voller Gewalt, Hass und Schmerz. Alles, was sie wollen, ist als Mensch angesehen zu werden, beachtet- und nicht von oben herab behandelt zu werden, doch selbst das bleibt ihnen verwehrt. Ich klammere mich an die Weltanschauung dieser Menschen, die Menschen die Güte zu schätzen wissen. Jene Güte, die ich versuche, jeden Tag aufzubringen, jene Moral, die mir rät, Menschen mit der größten Freundlichkeit zu behandeln. Die Hoffnung, dass andere Menschen genau so denken, gebe ich nicht auf. Es hält mich aufrecht für diejenigen zu kämpfen, die es für sich selbst nicht können.

Und dann finde ich genau diesen Halt, diesen Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe von Menschen, deren Stimmen sich erheben, um für die Rechte zu kämpfen. So hört unsere Stimmen, die wie ein gewaltiger Sturm auf die Ohren tauber Menschen niederprasseln. Hört, dass wir lieben, wen wir wollen, hört dass wir gleichgestellt sind, egal welche Hautfarbe wir haben, hört, dass Feminismus immer noch nötig ist und hört, dass wir Hass in jeglicher Art nicht hinnehmen, nicht kampflos. Eine einzelne Stimme wird zu einem Chor und dieser Chor wird nicht verstummen, solange sie für die gleichen Ziele kämpfen, solange sie sich gegenseitig Halt geben.

Doch nachts ist alles anders. Nachts liege ich da, starre die Decke an und beobachte den ewig währenden Film von angsteinflößenden Szenarien. Ich erinnere mich an ein Video von einem Eisbären in einem Lavendelfeld, statt in einer Eislandschaft, die Schreie der Menschen auf Videos aus Kriegsgebieten und die Obdachlosen, die die Nacht eventuell nicht überleben. Um die aufkommende Panik zu ersticken, hole ich schnell meinen Laptop und ich rufe eine Streaming Plattform auf.

Der Bildschirm flackert auf und die Realität pausiert, wenn ich das bekannte Gesicht des Streamers sehe, der gerade lachend auf den Chat eingeht. Und als wenn man sich mit den im Stream anwesenden Personen von Gesicht zu Gesicht unterhalten würde, wird gechattet und sich ausgetauscht. Ich erzähle vom Leben, werde ermutigt, motiviert und von wildfremden Menschen erfährt man so viel Liebe. Der ein oder andere Kaffee wird getrunken, das Gesicht des Streamers von einem lustigen Filter überdeckt für die Belustigung der Zuschauer, und nach dem Einlösen von Streamer Punkten muss der Streamende zu allem Überfluss noch die Antworten auf den Chat reimen. Man lacht über solche banalen Dinge, solche Kleinigkeiten, doch genau das ist es, was mich für einen Moment vergessen lässt. Die Unterhaltung, der Austausch mit anderen Menschen, die dich nicht kennen und die mir trotzdem gut zu reden und helfen, lässt die Hoffnung aufkeimen, dass manche Menschen doch tatsächlich Licht im Herzen tragen.

Doch das Einzige, was einen die Geschehnisse mitbekommen- und dennoch akzeptieren lässt, sind die Personen, welche die Welt für einen selbst zu einem besseren Ort machen. Die Sorge, dass eine von ihnen einfach so aufhören könnte zu atmen, ist so groß, dass ich nachts immer zweimal hinschaue, ob sich der Körper gleichmäßig auf und ab bewegt. Erst dann kann ich Ruhe finden. Doch diese Panik ebbt ab, sobald wir lachend zusammen backen, wir uns panisch anschreien und aneinander festkrallen, wenn die Achterbahn nach unten fährt und wir schief beim Karaoke Abend singen. Das sind die Dinge, die mich im Leben halten. Die Sachen, die das Leben lebenswert machen. Es ist kein Besitz, kein Geld oder Wissen. Es ist das Wir.

Also wie auch immer die Welt letztendlich untergeht, wir gehen mit ihr unter.  Aber zumindest Hand in Hand.


 

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